22.03.2018
Marek Jaruș
ist auf der Straße am Yaquir unterwegs. Seit dem Morgen ist
er durch Nebel gewandert, was für diese Jahreszeit recht
ungewöhnlich ist. Immerhin ist es Hochsommer. Auf einmal
klart es auf und die helle Sonne scheint wieder vom Himmel. Aber
ihm fährt ein kurzer Schauer über den Rücken, den
er nicht einordnen kann. Mit diesem unguten Gefühl kommt er
eine Stunde später an einem Gasthaus vorbei. Er beschließt
einzukehren.
Tuán hat bei seinem nächsten Griff
leider die falsche Kante erwischt und ist abgerutscht. Geschickt
kann er sich abrollen und kommt wieder auf die Beine.
Marek umrundet zuerst das Haus um das Hofklo zu
benutzen. Dabei hört er den Aufschlag des Waldmenschen und
schaut neugierig um die Ecke. Als er den kleinen Kerl nun auf dem
Hinterhof noch nachhüpfen sieht, kann er nicht so viele
Augenbrauen hochziehen, wie er gerne möchte.
Tuán schaut erschrocken auf
den schwarz gekleideten Krieger mit dem Rabenschnabel am
Waffengurt. Einen Augenblick überlegt er sich schnell zu
verstecken. Dann lässt er die sinnlose Aktion aber sein.
„Geht es Euch gut?“
fragt der Rabengardist höflich. „Ich glaube, Ihr seit
abgestürzt.“
„Abgestürzt? Ich habe
mich fallen lassen!“ antwortet Tuán.
„Was habt Ihr dort oben
gemacht?“
„Ich habe wohl den falschen
Ausgang benutzt!“
„Euer Ernst?“ Marek schaut den
kleinen Mann durchdringend an. „Geht mich auch nichts an.
Dann gehabt Euch wohl!“ Damit dreht er um und geht um das
Haus zum Vordereingang.
Als Marek nun die Tür öffnet und in
den Schankraum kommt, fällt ihm sofort die gedrückte
Stimmung auf. Er schaut sich im Raum um. Die Wirtin arbeitet
abwesend, ihr Mann hat eine geschäftige Fröhlichkeit
aufgesetzt. Ein Junge bedient an den Tischen. Dann fällt ihm
die Peraine-Geweihte auf, die nachdenklich auf einigen Papieren
herumkritzelt. Drei Söldner halten sich recht schweigsam an
ihrem Bier fest. Eine Thorwalerin mit elfischen Gesichtszügen
sitzt mit einem Novadi an einem Tisch. Am letzten Tisch sitzt eine
Händlerin und schaut ebenfalls grimmig.
Einen Augenblick weiß Marek nicht, wo er
sich zuerst nicht hinsetzen will. Bei der Geweihten fühlt er
sich noch am besten aufgehoben und geht zu ihr rüber.
Unterwegs grüßt ihn der Novadi in seiner
überschwänglichen Höflichkeit. Verunsichert grüßt
er im Namen der Zwölve zurück. Dann stellt er sich neben
die Geweihte und räuspert sich laut.
„Was denn?“ brummt die.
„Peraine zum Gruße! Ist
hier noch ein Platz frei?“ fragt Marek höflich.
Die Geweihte schaut erschrocken in
das ihr fremde Gesicht. „Wer seit Ihr denn?“ platzt es
aus ihr heraus.
„Mein Name ist Marek Jaruș.
Ich fragte, ob ich mich hier setzen kann?“ wiederholt der
Rabenkrieger seine Frage.
„Oh, äh, Boron zum Gruße.
Sicherlich. Ich wollte sowieso gerade hinaufgehen, um mehr Ruhe zu
einem Gebet zu haben.“ stammelt die Geweihte nun verlegen.
Sie rafft ihre Papiere zusammen und macht sich auf den Weg zur
Treppe. Marek schaut noch hilflos hinterher. Vertreiben wollte er
die Geweihte nicht. Aber sie lässt sich nicht aufhalten. Sie
wiegelt seine Hilfe ab und stammelt immer wieder, dass alles in
Ordnung ist. Sie wollte ohnehin Beten und sich sammeln und es wäre
ja gut, dass er sicher hier eingetroffen ist.
Helga hat die Szene misstrauisch beobachtet.
Die Geweihte wirkt aus dem Konzept gebracht und verlegen. Schnell
springt Helga zur Treppe und ruft hinauf, dass Tuán sich
mal langsam beeilen soll mit dem Packen! Da schreitet Wina bereits
die Stufen rauf.
Tuán ist nach dem Abgang des Fremden
flink wieder zum Fenster der Geweihten hinaufgeklettert. Er hat
das zum Lüften geöffnete Fenster benutzt und ist in den
Raum geklettert. Gerade schaut er sich um, als er von unten Helgas
Stimme seinen Namen rufen hört. Er grübelt noch, als er
die Schritte vor der Tür hört und gerade noch wieder aus
dem Fenster hinaus schwingen kann und nun an der Fassade hängt.
Er kann hören, wie jemand den
Raum betritt und raschelndes Papier auf das Bett abwirft.
„Mist! Das hätte nicht passieren
dürfen. Das hätte nicht passieren dürfen! Was mache
ich nur!“ Es ist die wispernde Stimme der Geweihten, die
scheinbar unruhig im Zimmer umher geht. Dann wird die Tür
wieder geöffnet. Es ist einen Moment still. Dann wird die Tür
wieder geschlossen.
Vorsichtig zieht Tuán sich am
Fenstersims hoch und schaut in den Raum. Er sieht die Geweihte
immer noch im Raum herumgehen und mit den Armen fuchteln.
„Was mache ich denn jetzt! Was mache ich
denn jetzt! Was mache ich denn jetzt!“ wispert sie immer
wieder dabei, bis sie sich am Bettpfosten stößt. Sie
reibt sich den Arm und schaut dabei zum Fenster hinaus. Schnell
versucht Tuán sich wieder abzulassen, damit sie ihn nicht
sieht.
„Hä?“ hört er
die Geweihte sagen. Dann kommen ihre Schritte zum Fenster. Das
Gesicht von Wina taucht über dem Fensterbrett auf und schaut
nun direkt in Tuáns, der am Sims hängend hinaufschaut.
„Dieb Du!“ brüllt die Geweihte
los. „Einbrecher. Diebe. Du Strauch!“
Im Schankraum ist sofort Alarm. Alle blicken
einen Augenblick zur Treppe, dann springen sie auf und renne hoch.
Marek ist der erste, der die Treppe hinauf stürzt. Die
Söldner laufen als nächstes. Helga brummt noch, was der
Kerl nun schon wieder angestellt hat.
Bevor Wina nach ihm schlagen kann,
will Tuán wegklettern, fällt aber wieder runter.
Dieses mal landet er unglücklich auf dem Hintern und prellt
sich diesen.
Als Marek oben im Flur ankommt,
schaut die Geweihte aus der Tür des ersten Zimmers und ruft:
„Er ist runter gesprungen!“
Sofort macht der Rabenkrieger auf dem Absatz
kehrt und schiebt die Söldner vor sich her wieder die Treppe
runter. Alle vier laufen nun zur Vordertür hinaus und um das
Gebäude herum auf den Hinterhof. Tuán steht hier noch
etwas wackelig und schaut den vier Kämpfern entgegen. Schnell
haben sie ihn eingekreist und die Söldnerin Gala packt ihn am
Arm.
„Da haben wir ja den Mörder!“
poltert sie.
„Mörder? Wieso Mörder?“
fragt Marek nun überrascht. „Ich denke, wir suchen
einen Dieb!“
„Mörder!“
wiederholt die Söldnerin die Anklage und packt den kleinen
Tuán fester. Die drei Söldner schleppen den
Waldmenschen nun um das Haus nach vorne und wieder in den
Schankraum. Marek folgt ihnen nachdenklich.
„Wieso Mörder?“
wiederholt er seine Frage. „Es geht um Diebstahl! Wie kommt
Ihr auf Mord?“
„Nein, ein Mörder!“
erklärt die Söldnerin giftig. „Das ist ein ganz
dreckiger Hund! Ein feiger Mörder!“ Damit schlägt
sie Tuán ins Gesicht.
Die Beiden hatten ja schon die ganze Zeit einen
Streit. Nun hat Tuán die Hand der Söldnerin wie Feuer.
Es war zwar nur eine Ohrfeige, brennt aber wie Feuer.
Helga hält sich fremdschämend
den Kopf. „Was hat er nun wieder gemacht? Ist das peinlich!“
Sie schaut Karim ratlos an. Von oben kommt nun die Geweihte
runter.
„Ich … ich … bin
empört... Der hing an meinem Fenster!“ schnaubt sie
wütend.
„Was hat er denn genau
angestellt!“ fragt Helga sie ruhig.
„Der … der hat mir was
weggenommen!“ stammelt Wina aufgebracht. „Der wollte
irgendwas bei mir! Ich wusste es. Gottloses Volk!“
„Was hat er Euch denn
weggenommen?“ fragt Helga nun.
„Das werden wir ja gleich
sehen, was er mir alles gestohlen hat!“ braust die Geweihte
wütend.
„Was hat er denn bei Euch im
Zimmer gesucht. Er sollte seine Sachen packen. Ich kenne ihn nicht
als Dieb!“ versucht Helga die Geweihte zu beruhigen.
Dann geht die Tür auf und die drei Söldner
schleppen den zappelnden Tuán in den Raum. Ihnen folgt
Marek.
„Da bin ich ja mal gespannt,
was er bei Euch gesucht hat!“ grummelt Helga den im
Schwitzkasten zwischen den Söldnern hängenden Tuán
an. Sie zerren ihn auf einen Stuhl und beginnen ihn festzubinden.
„So, nun haben wir ihn!“
verkündet die Söldnerin Gala siegesgewiss lächelnd.
„Selber Mörder!“
mault Tuán.
„Tuán, was hast Du
angestellt?“ fragt Helga den Kollegen.
„Ein Mörder ist er! Ein
Mörder!“ Gala präsentiert ihren Gefangenen wie
eine Jagdtrophäe.
„Wen hat er denn umgebracht?“
Helga überlegt, wem Tuán vor allen ein Messer an den
Hals gehalten haben könnte. Aber niemand sieht aus, als wäre
er dem Tode knapp entronnen.
„Wen er umgebracht hat? Habt
Ihr vergessen, wen wir hinter dem Haus vergraben haben?“
Gala wirkt nun fast hysterisch.
„Warst Du selber!“
trötet Tuán in die Diskussion.
„Ihr habt jemanden vergraben?“
fragt nun der Boroni.
Tuán zappelt auf dem Stuhl herum und
wird von Gala mit einem Schlag gezüchtigt. Dann fesseln die
Söldner Tuáns Füße unter Aufwendung
vereinter Kräfte ebenfalls an den Stuhl. Das Ganze ist schon
eine wilde Rauferei.
Helga erklärt mit kurzen Worten die
Ereignisse der vergangenen Nacht und die Ermittlungen der Gruppe.
Die Söldner haben von Anfang an alles Nichtmittelreichische
für verdächtig gehalten. Karim fügt hinzu, dass
jemand von Tuáns Körpergröße allerdings
nicht als Kehlenschlitzer in Frage kommt. Auch die Kinder sind zu
klein. Es muss aber jemand der Anwesenden gewesen sein.
„Es war mir schon klar! Du
warst zu lange weg. Was wolltest Du in meinem Zimmer!“ geht
die Geweihte nun den gefesselten Waldmenschen an. Alle schauen
erwartungsvoll.
„Ich habe doch nichts im
Zimmer gemacht!“ entgegnet der.
„Du hingst an meinem Fenster.
Da Du nicht durch die Tür hereingekommen bist, wolltest Du
wohl fliehen!“ schimpft Wina nun wirklich wütend.
„Ich habe nur Sport gemacht!“
Tuán muss selber grinsen.
„An meinem Fenster? Im zweiten
Stock? An meiner Fensterbank?“
„Aber was hast Du gemeint –
Das hätte nicht passieren dürfen. Was mache ich jetzt?“
Tuán schaut die Geweihte herausfordernd an. Die blickt ihn
erstarrt an.
„Ich habe Dich gehört!“
fügt er hinzu. „Was mache ich jetzt, was mache ich
jetzt! Das durfte nicht passieren!“
„Habe ich nicht gesagt!“
entgegnet Wina leise.
„Oh doch!“ Tuán
bekommt nun echt Oberwasser. „Tuán hat das gehört.
Tuán hat sehr gute Ohren.“
„Tuán ist ein Dieb!“
zischt Wina.
„Beweise?“
Die Geweihte ist blass geworden und
braucht nun etwas länger, bis sie ihre Sprache wiedergefunden
hat. Sie wechselt nun zu der Strategie, dass sie ihn vor seiner
Tat ertappt hat. Sicher wollte er sein Messer bei ihr verstecken
um ihr die Schuld an dem Mord in die Schuhe zu schieben.
„Das ist Tuáns Messer.
Das brauche ich selber!“ giftet der kleine Mann zurück.
„Du hast also am Fenster
gelauscht und bist dann abgestürzt!“ fasst Helga die
Situation zusammen. „Du bist ja ungeschickt!“
„Ich kann nicht verstehen, wie
sie mich sehen konnte. Ich war extra vorsichtig.“ grummelt
Tuán.
„Da stimmt doch was nicht!“ stellt
Karim fest. „Er sagt, was er gehört hat, und sie
streitet es einfach ab!“ Der Novadi schaut die Geweihte
skeptisch an. Wina fühlt sich auf jeden Fall ertappt. Das
kann jetzt auch Helga deutlich sehen.
Jetzt mischt sich die Söldnerin Gala
wieder ein. „Na los, Tuán! Nun sag schon, was hast Du
dort oben gemacht!“ Sofort bricht wieder ein Gezanke
zwischen den Beiden aus, wer von beiden der Bösere ist.
„Gala, warte mal einen Augenblick.“
mischt Helga sich nun ein. „Ich hatte ja die Leiche des
Bauern untersucht. Die Wunden mir genau angeschaut. Da passt Tuán
nicht dazu. Er ist zu klein, um einen stehenden Erwachsenen die
Kehle durchzuschneiden. Er kann den Mord nicht begangen haben...“
Helga unterbricht ihre Rede und schaut verstört auf den
kleinen Waldmenschen.
„Tuán, hast Du eben die Zunge
rausgestreckt?“ fragt sie ihren Kollegen verstört. Der
grinst fast im Kreis. Helga vergräbt ihr Gesicht in ihren
Händen und schaut dann entschuldigend zu dem Rabenritter und
den Söldnern. „Körper wie ein Kind, Wesen wie ein
Kind. Vermutlich ist er ein Kind!“ knurrt sie ärgerlich.
„Was hat ihn den gehindert,
einen Schemel genommen zu haben?“ fragt Gala nun
herausfordernd.
„Ähäm, die
Vorstellung, dass selbst ein geduldiger Bauer so lange stehen
bleibt und abwartet, bis sich Tuán einen Schemel genommen
hat um auf Augenhöhe zu sein und dann das Messer ansetzt um
die Kehle... ne!“ Helga muss bei der Vorstellung lachen.
„Also, ich kenne den Jungen nicht. Aber
auch Euch als erprobte Kämpferin muss klar sein, dass niemand
sich von einem Kehlenschlitzer auf einem Schemel niedermachen
lässt. Da wäre es erfolgversprechender gewesen, ihm den
Schemel über den Kopf zu ziehen!“ erklärt der
Rabenkrieger in seiner ruhigen Stimme. Alle müssen nun
grinsen.
„Aber zurück zum Fall.
Tuán, Du hast also gelauscht. Was genau hast Du gehört?“
bringt Helga das Gespräch wieder auf seinen Weg zurück.
„Nichts!“ piept die
Geweihte nun aufgeregt. „Gar nichts. Was soll er schon
gehört haben?“ Sie ist nun für alle sichtbar
aufgeregt. „Er wollte mir was aus meiner Stube rausklauen!“
„Gar nicht wahr!“ mault
Tuán.
„Ich bin ihm zum Glück
zuvor gekommen!“ Die Geweihte Wina macht nun ein
entschlossenen Gesicht.
„Was hast Du gehört!“
beharrt Helga auf ihrer Frage.
„Das ist nicht gut. Das hätte
nicht passieren dürfen. Was mache ich nun?“ wiederholt
Tuán seine Aussage. „Was mache ich jetzt, was mache
ich jetzt! - und sie ist vor und zurückgelaufen!“
Wieder entbrennt ein – Habe ich nicht –
Hast Du doch – Streit zwischen Wina und Tuán.
Helga bohrt nun weiter nach, was
Wina so aufgebracht haben kann. Die versucht sich mit Lügen
und Diebstahl-Anklagen herauszureden. Nur scheint ihr dass in
diesem Raum inzwischen keiner mehr zu glauben.
„Ihr habt den Toten gefunden!“
„Die Tür stand offen.
Natürlich schaue ich nach!“
„Du warst auch die einzige,
die kein Verhör hatte!“ fügt Tuán hinzu.
„Natürlich. Ich habe ja
auch die Verhöre durchgeführt!“ wehrt Wina ab. Sie
hat sich nun wieder im Griff. „Als Vertreterin der Göttin
hat man mir diese Aufgabe überlassen.“
„Ja, aber Deine Göttin
hat niemand gesehen!“ mault Tuán.
„Dieser Ungläubige Wilde
meint, als Geweihte kann man einfach so seinen Gott erscheinen
lassen!“ Wina schaut nach Bestätigung suchend zu dem
Rabenkrieger. Diese Wilden haben halt keine Ahnung, wie der Dienst
an echten Göttern aussieht. Nur Lügen und Falschheit
kann man da erwarten.
„Aber Unwissenheit hat nichts mit Lügen
zu tun!“ verteidigt Karim nun den Waldmenschen. „Auch
ich bin unwissend und hier, um andere Kulturen kennen zu lernen!“
„Woher willst Du wissen, dass
ich draußen war?“ quarkt Tuán nun dazwischen.
„Sollen wir die vier Zeugen
dazu befragen? Oder wo habt Ihr ihn vorgefunden?“ fragt Wina
nun die Söldnerin Gala.
„Draußen unter dem
Fenster!“ antwortet die.
Dann fragt Wina auch die anderen
beiden Söldner Anjun und Sandros. Auch die können das
nur bestätigen.
„Also zwei mal draußen
vor dem Fenster!“ muss Marek nun zugeben.
„Er hat ja auch gelauscht!“
versucht Helga die Diskussion abzukürzen.
„Aber es geht doch um einen
Mord! Das hat ja nichts miteinander zu tun!“ stellt Marek
nun fest.
„Mir geht es um einen
versuchten Einbruch!“ erklärt sich Wina. „Ich
habe nichts von Mord gesagt!“
„Ne, das war ich!“
pöbelt Gala dazwischen. Sie hat ja inzwischen eingesehen,
dass am Fenster hängen nichts mit Mord zu tun hat. Für
einen Mord bekommt man die Todesstrafe, für einen Diebstahl
nur die Hand abgehackt.
„Aber warum sollte er uns denn
belauschen?“ dreht Wina nun die Dinge wieder um.
„Vielleicht war er neugierig?“
hält Helga ihr entgegen. „Aber er ist kein Dieb!“
„Schon für das Lauschen
kann man ihm die Ohren abschneiden!“ Gala ist wieder in
ihrem Element.
„Warum das?“ Helga ist
nun verdutzt.
„Weil man es kann!“
antwortet Gala.
„Habt Ihr denn vom Kaiser die
Befugnis, Gericht zu halten?“ fragt Marek nun die Geweihte.
„Nein, das habe ich nicht. Aber es war
keine höhere Instanz da. Also musste ich mich dem annehmen!“
Helga beharrt nun wieder auf eine Antwort, was
nicht passieren hätte dürfen. Sofort geht wieder die
„Habe ich nicht – Hast Du doch“ Diskussion los.
Tuán kann immer noch nicht verstehen, wie die Geweihte ihn
hat entdecken können. Er findet das wirklich unfair, dass er
erwischt wurde.
„Ich habe eine Bewegung am
Fenster gesehen. Und als ich hinausgeschaut habe, habe ich Dich an
meinem Fenster hängen sehen!“ schimpft Wina nun.
„Du hättest mich nicht
sehen können!“ beharrt Tuán.
Alle schauen sich fragend an.
„Hast Du Dir die Augen
zugehalten, oder warum hätte dich niemand sehen können?“
Helga kann sich das Lachen kaum verkneifen.
„Nein, ich habe mich so versteckt, dass
mich niemand hätte sehen können!“ erklärt der
Waldmensch trotzig.
Helga muss laut lachen und versucht Gala damit
anzustecken. Der Streit zwischen dem Waldmenschen und der
Peraine-Geweihte ist allerdings sehr kurrios.
„Ihr habt alle irgendwie Dreck am
Stecken!“ brummt Marek und geht zum Tresen um bei der Wirtin
ein Bier zu bestellen. Die Frau ist immer noch in einer
Schockstarre und braucht deutlich länger für ihre
Arbeit, als man es von einer Wirtin gewohnt wäre. Als er den
Wirt darauf anspricht, erklärt dieser, dass der Bauer Karon
öfter hier gastiert hat und ein Bekannter war. Deshalb nimmt
der Tod sie sehr mit.
Helga hat Gala nun etwas bei Seite genommen und
versucht nun ihre Aufmerksamkeit auf die belauschten Worte zu
lenken. Allein, dass sich die Geweihte mit dem Waldmenschen auf so
einen kindischen Streit über das Versteckspiel einlässt,
sollte klar machen, dass da was wahre dran ist.
„Ich kenne den kleinen Kerl nun schon
eine Weile. Er ist etwas unbedarft und manchmal naiv. Aber er
stiehlt nicht und er lügt nicht. Da bin ich mir sicher. Mit
der Frau stimmt doch was nicht!“ raunt Helga der Söldnerin
nun zu. „Erst war sie gestern Nacht so erschrocken, und dann
so energisch, den Bauern möglichst schnell unter die Erde zu
bringen!“
Gala schaut nun nachdenklich.
„Alles so fix, bevor ein
Büttler da ist!“ legt Helga nach. Gala kann verstehen,
dass man eine Leiche nicht unnötig lange herumliegen lassen
will. Aber Tuán hat sie belauscht!
„Vielleicht findet er sie auch
verdächtig und war einfach neugierig!“ erklärt
Helga das Verhalten des kleinen Kumpanen. „Ich möchte
nur wissen, was hätte nicht passieren dürfen?“
Beide Frauen schauen sich an.
„Vielleicht, dass jemand
fremdes herein gekommen ist.“ fällt Helga nun ein.
„Jemand, der es auf jeden Fall nicht gewesen sein kann. Und
vor allem – jemand von Glauben!“
Gala kann Helgas Gedanken durchaus
folgen. Auch Marek steckt nun seine Kopf dazu, während Wina
und Tuán noch am kabbeln sind.
„Sie war schon recht
erschrocken, als ich mich zu ihr setzen wollte. Und hatte es
richtig eilig, auf ihr Zimmer zu kommen!“ fügt er
hinzu.
„Aber was soll man denn nun
tun. Sie ist immer noch eine Geweihte. Man kann sie ja nicht
einfach niederschlagen.“ überlegt Gala.
„Ist da etwas dämonisches
an ihr. Ob sie ein Paktierer ist und nur so tut, als ob sie eine
Geweihte ist?“ Helga will zwar niemandem das Mal auf ihrem
Hintern zeigen, aber sie weiß, dass der Täter
dämonische Rituale praktiziert.
Marek kann an dem Outfit der Geweihten nichts
unpassendes finden.
Schließlich kommt der Händler und
seine Tochter wieder herunter. „Was ist denn hier los. Kann
man nicht einmal etwas Schlaf nachholen?“ schimpft er in den
Streit der Geweihten mit Tuán. Er führt seine
offensichtlich noch sehr verschlafene Tochter an den Tisch zur
Händlerin und setzt sich dort mit ihr dazu. Das Mädchen
ist von dem Streit auf jeden Fall nicht geweckt worden. Die
Händlerin gibt ihrem Bekannten ein Update.
„Das einzige was mir jetzt
einfällt, Ihr seit der einzige Fremde und könntet sie
befragen!“ schlägt Helga dem Rabenkrieger vor. Gala und
sie könnten die Geweihte dazu bringen sich den Fragen zu
stellen und Marek als unbeteiligter kann sie dann ausquetschen.
„Aber was soll ich denn fragen?“
Der junge Mann ist nun etwas hilflos. Er kennt ja keine Details
der Ereignisse und kann so auch keine Lüge oder Unstimmigkeit
entlarven.
Gala wendet sich nun zu den beiden
Streithähnen und poltert dazwischen, dass endlich Ruhe sein
muss. Beide schauen auf. Helga erklärt nun der Geweihten
höflich, dass sie als einzige nicht befragt wurde, und dies
der Ordenskrieger als Unbeteiligter nachholen könnte. Wina
mustert die Anwesenden der Reihe nach.
„Nagut, dann soll es so sein!“
flötet sie nun wieder sanft. „Aber nur unter den
gleichen Voraussetzungen wie bei allen anderen. Alle verlassen den
Raum und nur das Mädchen und der Junge sind als Beisitzer
dabei.“
„Musstet Ihr Eure Sachen
vorzeigen?“ fragt Marek die Leute.
„Nein, es wurde bisher niemand
als vertrauenswürdig genug erachtet um die Sachen zu
durchsuchen!“ erklärt Helga.
„Dann wird das das nächste sein,
nach dem Verhört!“ erklärt der Rabenkrieger fest.
Während ein Verhörtisch vorbereitet
wird erzählt Helga laut Marek noch einmal die festgestellten
Tatsachen um den Mord an dem Bauern Karon. Die Tat ereignete sich
zwischen Mitternacht und Morgens um Vier. Es gab keine
Kampfspuren, das Bett war unbenutzt, ihm wurde stehend von einer
gleichgroßen Person die Kehle aufgeschlitzt. Es fehlten
keine Besitztümer. Auf Grund der Größe kommen
weder die Kinder, noch Tuán oder Karim in Frage, weil sie
zu klein sind. Das Haus wurde von einem spitzen Schrei gegen Vier
Uhr von der Geweihten geweckt, die vor der Tür stehend den
Toten entdeckt haben will. Die Tür wurde durch die Blutlache
geschoben, als sie geöffnet wurde.
Mit diesen Informationen, die alle Anwesenden
abnicken können, wird Marek mit den Kindern und Wina alleine
gelassen. Als er nach den Aufzeichnungen der anderen Verhöre
fragt, erklärt Wina, dass sie diese gerade angefertigt hatte
und sie nun oben in ihrem Zimmer habe. Sie würde sie ihm
gleich nach der Befragung aushändigen.
Dann beginnt er sie nach den Ereignissen des
letzten Abends zu fragen. Sie berichtet, dass sie mit Karon über
seinen Hof und seine Ernte gesprochen hat. Sie kennt die Lage
nicht genau, da sie reisende Geweihte ist und ihn nicht persönlich
kannte. Er hat sich aber gleich an sie als Geweihte seiner
Hausgöttin gewandt. Dann fragt er sie zu der Entdeckung. Sie
hätte austreten müssen und hat die offen stehende Tür
und die dunkle Flüssigkeit darunter gesehen. Daraufhin habe
sie die Tür weiter aufgestoßen und den Toten entdeckt.
Sie hätte sich sehr erschrocken. Sie hatte niemand sonst auf
dem Flur gesehen, wäre auch noch schlaftrunken gewesen.
Insgesamt sitzt Wina recht steif auf ihrem
Stuhl und wirkt sehr gefasst bei ihren Aussagen. Nun befragt er
sie nach ihrem Lebenslauf. Das bringt sie doch etwas aus dem
Tritt. Sie sei seit etwa 10 Jahren im Namen der Göttin
unterwegs. Sie stammt aus dem Tempel in Punin. Bei diesen Aussagen
macht sie eine Merkel-Raute und zittert etwas. Er wendet jetzt
wieder zu der Familie des Opfers, über das sie weiß,
dass es eine Frau und fünf Kinder gibt. Dann befragt er sie
zu ihrem plötzlichen Aufbruch, als er sich zu ihr gesellen
wollte. Sie meint, sie hätte eine Besinnungszeit für
sich benötigt. Deshalb ist sie gegangen.
„Aber Ihr habt doch recht
abgeschieden gesessen!“ bohrt Marek nach.
Es wäre alles recht aufwendig
gewesen, es zu notieren. Sie hätte einfach Ruhe gebraucht.
Wie der Händler und seine Tochter.
„Und was hätte nicht
passieren dürfen?“
„Der Mord, natürlich!“
antwortet sie nun sofort. „Der Mord hätte nicht
passieren dürfen!“
Beide schauen sich tief in die
Augen.
„Habt ihr ein Messer?“
„Natürlich, zum Käse
schneiden!“ antwortet Wina. „Ich kann es Euch dann
gleich bei der Durchsuchung zeigen!“ schlägt sie vor.
„Ist das Verhör denn hier nun beendet?“
„Das werde ich dann
entscheiden!“ entgegnet Marek. Wina schaut unsicher. „Ich
habe die anderen Verhöre nicht geführt. Und ich möchte
erst die Sachen sehen und werden dann entscheiden, ob ich das
Verhör dann noch fortsetze. Ich werde mir auch die Sachen der
Anderen anschauen und ihre Verhöre dann noch fortsetzen, wenn
ich es für nötig halte!“ Marek schaut die Geweihte
fest an.
Damit weist er zur Treppe um sie
ihre Sache holen zu lassen. Sie erhebt sich sehr langsam und
bedächtig.
„Wollt Ihr mich begleiten?“
fragt sie den Ordenskrieger. „Oder soll ich die Sachen
herunterholen?“
„Ja, ich schaue mir Eure Sachen am besten
gleich vor Ort an!“ Damit erhebt er sich ebenfalls und winkt
die Kinder, ihm zu folgen. Alle Drei gehen hinter der Geweihten
langsam die Treppe in den ersten Stock hinauf. Er beobachtet Wina
sehr aufmerksam, weil sie so vorsichtig geht. Als sie ihre Tür
geöffnet hat, folgt er ihr in das kleine Zimmer. Es gibt eine
Schrank, ein Bett und ein Tisch und Stuhl. Wina setzt sich auf den
Stuhl und wartet. Sie beginnt tonlos zu beten.
Marek stellt fest, dass er ihr den
Rücken zuwenden muss, wenn er dort etwas herausholen möchte.
„Bitte unterlasst jetzt das Beten.“
unterbricht er die Geweihte. Die schaut etwas pikiert. „Ich
weiß, was Gebete anrichten können und ich bin mir nicht
sicher, zu wem ihr betet!“ fährt er sie an. Wina kneift
die Augen zusammen und bleibt steif auf dem Stuhl sitzen. Die
beiden Kinder stehen an der Tür und beobachten die Szene
etwas befremdet.
Der Ordenskrieger holt als erstes den Rucksack
aus dem Schrank und fragt nach dem Messer. Er findet es gleich und
beginnt es genau zu betrachten. Oberflächlich ist es sauber,
aber zwischen Klinge und Heft ist ein dunkler Streifen zu sehen. -
Blut!
In diesem Moment bewegt sich die Geweihte
ruckartig, brüllt etwas in einer fremden Sprache und Mareks
Bewusstsein macht Urlaub.
Draußen im Hof sitzen die
restlichen Leute und spekulieren über das merkwürdige
Verhalten der Geweihten. Gala und Helga überlegen, wie man
die Frau umhauen könnte. Da hören sie aus dem Gasthaus
die beiden Kinder spitz aufschreien. Sofort stürmen alle in
den Schankraum und sehen die beiden Kinder oben an der Treppe
winken. Nur Tuán klettert von Außen die Wand in die
Schlafräume hoch.
„Sie hat ihn angegriffen!“ brüllen
die Beiden im Chor.
Karim ist der Erste auf der Treppe,
dann folgt Helga, dann Gala und ihre Jungs. Karim springt über
die beiden Kinder hinweg und stürmt in den Raum der
Geweihten. Helga greift sich das Mädchen und drückt es
an die Wand, damit die Söldner vorbei können.
„Erzählt genau!“
fragt sie das Mädchen.
Gala tanzt förmlich um den Jungen herum.
Aber ihre beiden Begleiter prallen mit dem Wirtssohn zusammen und
fallen hin.
Im Zimmer sieht Karim, wie Wina gerade mit
einem Messer das zweite Mal in den Körper des am Boden
liegenden Marek sticht. Karim versucht mit seinem Messer den Arm
der Geweihten zu erwischen, erwischt aber den armen Marek. Der
stöhnt unter den Stichen auf.
Tuán hat das Fenster im ersten Stock
erreicht und steht nun im Mordzimmer. Er stürmt auf den Flur
hinaus hinter Gala in den Raum der Geweihten. Mit vereinten
Kräften schlagen sie auf die Mörderin ein, bis sie durch
einen Hruruzat-Tritt von Tuán zusammenbricht und
schließlich stirbt.
Jetzt kommt auch Marek wieder zu
sich und hat einen ordentlichen Treffer im Brustbereich kassiert.
Gala putzt ihr Schwert an einem
Stück Stoff. „So! Und wir werden nicht mal dafür
bezahlt!“ Aber sie grinst zufrieden. Mareks Nackenhaare
legen sich nun langsam wieder und er hat ein erleichtertes Gefühl,
als ob eine Last abgefallen ist.
„Sie wars!“ knurrt er in die Runde.
„Am Messer ist Blut!“
Er rappelt sich auf und zerrt ihr die Kleidung
vom Leib und sucht ein Dämonenmal. Helga spürt ebenfalls
ein Zwicken und Brennen am Hintern. Sie wird sich auf jeden Fall
bei den Praioten melden. Da schreit Marek auf. Die Frau hat das
Symbol des Namenlosen unter ihrer Brust tätowiert. Außerdem
finden sie, dass Wina sich einige Zehen abgeschnitten hat. Das
sind typische Opfer der Namenlosen-Geweihten.
Das Mädchen beschreibt nun, wie Wina etwas
unverständliches gerufen hatte und ein schwarzer Ball aus
ihrer Faust geschossen ist und den Ordenskrieger erwischt hat.
„Wie gut, dass der kleine Tuán so
neugierig war. Wir wären der Schandtäterin sonst nicht
auf die Schliche gekommen!“ meint Helga. Alle nicken
zustimmend. Auch die Wirtin kramt nun ihren Sohn aus dem
Söldnerhaufen und untersucht ihn nach Verwundungen. „Mir
geht es gut!“ bestätigt er. Die Wirtin ist wie
ausgewechselt. Sie wirkt wieder fröhlich und erleichtert. Ein
Dunkler Schatten ist von diesem Haus abgefallen.
Karim hat die Aufzeichnungen der Geweihten
gefunden. Es sind viele Blätter mit einer fremdartigen
Schrift, die keiner der Anwesenden lesen kann. Helga will die
Aufzeichnungen mit in den Praiostempel nehmen, wenn´s recht
ist.
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